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„Familientradition und kulturelles Gedächtnis haben großen Einfluss“

Warum werden Leute eigentlich Nazis? Belltower.news betreibt einmal wöchentlich Ursachenforschung und fragt Fachleute nach ihrer Einschätzung. Heute im Gespräch mit Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung.

 

Die Fragen stellte Valentina Huthmacher.

Welche Ursachen für Rechtsextremismus gibt es Ihrer Einschätzung nach auf der individuellen Ebene?

Es gibt tausende verschiedene Ursachen. Bei manchen Rechtsextremen liegt ein psychologisches Problem vor. Manche sind in einem entsprechenden Umfeld aufgewachsen. Wenn die Familie rechtsextrem ist, hat ein Kind kaum eine andere Wahl, als selbst rechtsextrem zu werden. Da gibt es sozusagen eine Familientradition. Ein weiterer, allerdings seltener, Grund für eine rechtsextreme Einstellung kann sein, dass ein Jugendlicher seine Eltern und/oder sein Umfeld provozieren will, der Rechtsextremismus also in erster Linie eine Protesthaltung wiedergibt.

Es gibt eine Studie, in der jugendlicher Rechtsextremismus untersucht wurden. Hierbei wurde herausgefunden, dass viele dieser Jugendlichen in einem autoritären und inkonsistenten Stil erzogen worden sind. Ein inkonsistenter Erziehungsstil vermittelt Kindern ein Gefühl von Orientierungslosigkeit und Ohnmacht, da sie keine logischen Ursachen für das Handeln ihrer Eltern ihnen gegenüber erkennen können. Viele dieser Jugendlichen haben eine Disposition für Aggressivität und viele sind stark vaterorientiert. Autoritäre Erziehung und Vaterorientierung haben mit Ungleichheitsvorstellungen zu tun, die ja auch eine Grundlage von rechtsextremistischer Ideologie sind.

Und welche Ursachen für Rechtsextremismus gibt es auf der gesellschaftlichen beziehungsweise kulturellen Ebene?

Hier spielt das generationsübergreifende kulturelle Gedächtnis eine besondere Rolle. Mit der Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre gab es eine gesellschaftliche Umbruchsituation, in der Rechtsextremismus für die Massen attraktiv werden konnte. Dies ist im kulturellen Gedächtnis vorhanden, was dazu führt, dass ein Zurückfallen auf ähnliche Muster wahrscheinlich ist und als logisch verstanden wird. Zum Beispiel gibt es die populäre Meinung, dass Arbeitslosigkeit und/oder Armut mit Rechtsextremismus zusammenhänge. Wenn es mehr Arbeitslosigkeit / Armut gibt, wird davon ausgegangen, dass der Rechtsextremismus zunehmen wird und wenn Rechtsextremismus stark ist, wird das auf hohe Arbeitslosigkeit / Armut zurück geführt. Diese Logik wird aber nur angewendet, wenn es um Deutschland geht. In anderen Ländern scheint diese Gedankenkette als nicht funktionabel gesehen zu werden.

In Umbruchsituationen gibt es vermehrt Abstiegsängste, Konkurrenzdenken und Neid. Zu Rechtsextremismus führt dies aber nur, wenn zu den begünstigenden gesellschaftlichen Bedingungen auch die individuellen rechtsextremistischen Tendenzen kommen.

Anetta Kahane gründete die Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA)in Ostdeutschland und ist Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, die Projektarbeit gegen Rechtsextremismus unterstützt.

Mehr auf netz-gegen-nazis.de:

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